Hans Aeschbacher
Schweizer Maler und Bildhauer, *1906, †1980

 

Fritz Billeter
Kunstkritiker

 

Doris Morf
Schweizer Politikerin, Verlegerin und Schriftstellerin,
*1928, †2003

 

Dolf Schnebli
Schweizer Architekt *1928, †2009

 

Felix Schwarz
Schweizer Architekt

 

 

 

 

An Heinrich Eichmann

Von Hans Aeschbacher

Du hast uns zu früh verlassen
in welcher Zeit finden wir Dich wieder?
Wann wirst Du uns ein neues Mal beschämen?
Du Herrlicher, wirst Du mich noch einmal rufen?
Wieder mit Dir schimpfen, lachen
Glücksorgien singend, Du und ich
liebend-saufend, stürzen!
Der Morgen, unser Tag, Ewigkeiten schmelzen
es grinsen die Vergangenheiten
in die verworrene Abkunft
- Deine und meine Schuld -
aus dem Niederen steigend
trafen wir uns am hohen Weg!
Jetzt das Heute, die Geliebte, das Glück
lachend schaffen wir die neuen Werke
zwischen Zeit und Niedergang!
Heinrich, wann kommst Du wieder?

 

 

Heinrich Eichmann oder der Traum von der Überwindung der verzichteten Moral

Von Fritz Billeter

Wenn man noch einmal zusammenrafft, was im «Schweizer Künstlerlexikon» in bereits konzentrierter Form über Heinrich Eichmann zu lesen ist, dann stellt sich der Schaffensverlauf des Künstlers folgendermassen dar: «Arbeitet bis 1945 bei zunehmender Abstraktion gegenständlich (...) 1945 – 1955 Periode konkreter Malerei (...) Kehrt 1955 bei experimenteller Auseinandersetzung mit der Farbe zu landschaftlichen Motiven und zu einer formal ungebundenen Malerei zurück. Aus diesem Rückgriff entwickelt sich seit 1957 durch erneutes Abstreifen des Gegenständlichen, jetzt zugunsten subjektiv-psychischer Realisationen, eine ganz persönliche Art freier, einfacher, grossformatiger malerischer Konkretion einerseits. Anderseits sucht der Maler diese emotionale Bildformung auch an die frühere Geometrie anzuknüpfen» (...)
Dem wäre hinzuzufügen, dass Eichmann von 1960/61 an seine mit Goldfolien ausgelegten Tafeln schuf, denen eine Fülle von Metaphern und Ornamenten mit dem Pinsel eingefügt oder aber eingepunzt oder mit dem Bleistift eingezeichnet wurden. Parallel dazu entstanden für verschiedene Bauten des In- und Auslandes Wandmalereien in ähnlicher Technik und ähnlicher Mentalität, wobei das Goldblatt unmittelbar auf den Beton aufgetragen wurde (z.B. Stadttheater in Ingolstadt 1965, die Schweizerschule in Neapel 1967, der neue Trakt der Töchterschule I in Zürich 1969). Gerade diese Werke, in denen das Gold (zuweilen auch Silber) eine entscheidende Rolle spielt, haben Eichmann unverwechselbar und bekannt gemacht; gerade sie leuchten in der Erinnerung auf, wann immer sein Name genannt wird.
Wenn man jenen Eintrag im Künstlerlexikon aufmerksam liest, wird man bemerken, dass sich die Schaffensabschnitte bei Eichmann überlappen, dass genau besehen keine zeitlich hintereinander ablaufende Arbeitsphasen vorliegen, sondern Periodizität und Simultaneität. So lässt sich in diesem Schaffen schlechterdings keine scharfe zeitliche Grenze ziehen zwischen einer mehr abbildenden-impressionistischen Tendenz, die in der Aufzehrung des Wirklichkeitsmotivs durch die bildnerischen Mittel aber sehr weit gehen kann, und einer Tendenz zum symbolischen Zeichen, das weniger aus der Naturanschauung als aus den Jahrtausende alten Vorräten des menschlichen Geistes geschöpft worden ist.
So hat den Maler die Fassung der Landschaft nicht nur während einer chronologisch genau bestimmbaren Phase, sondern lebenslänglich beschäftigt. Da gibt es etwa zwei hauptsächlich weiss gehaltene Bilder von 1958 und 1961, bei denen die Fläche fast entleert ist und das Landschaftliche sich zum Ideogramm verknappt hat. Da gibt es das Bild mit tektonischen Schichtungen, die an de Staël erinnern (schwer zu datieren): da fallen die Werke «Anschlüsse gibt Fugen» und «Der Baukasten» von 1962 auf, mit nachkubistischer Parzellierung und eingesprengten Collage-Elementen. Insbesondere das zweitgenannte Bild evoziert städtische oder vorstädtische Landschaft. Da ist an zwei fast japanisierende Farbmaterialisierungen (1958 und 1961) zu denken, bei denen sich das Landschaftliche eher verflüchtigt, als dass es wirklich in Erscheinung tritt.
Immerhin lässt sich mit Bestimmtheit sagen, dass die reine Nichtfiguration im Sinn der Zürcher Konkreten, die ja mit normierten, geometrisierenden Elementen arbeiten, bei Eichmann nur in einer Zeit vor 1945 und dann von 1945 bis ungefähr 1955 eine wichtige Rolle gespielt hat. Aus der Zeit vor 1945 sind eine Reihe von Werken erhalten (sie lassen sich nicht zuverlässig datieren und tragen oft auch keinen Titel), die aus einem Raster farbiger Quadrate bestehen (man findet den entsprechenden Bildtypus bei Paul Klee und Max Bill). Manchmal sind einzelne Quadrate durch Rahmung hervorgehoben, oder es sind ihnen Kreuzzeichen oder Männchen eingeschrieben. Der ausgereifteste Bildtyp im Bereich der konkreten Richtung zeigt einzelne rechteckige oder quadratische Felder und graphisch genaue Zeichen – z.B. einfache und verbundene Kreuze, Strecken, vertikal ein Kreissegment schneidend, - die locker, aber keineswegs nur der Intuition gehorchend, auf einem einfarbigen Grund verteilt sind. Diese geometrischen Einzelformen und Signete behalten eine gewisse Individualität; sie sind nicht wie bei Bill häufig, bei Lohse ausschliesslich als anonymer Farbort in ein umfassendes System eingegliedert.

Anders gesagt: Eichmann steht mit seinen wichtigsten, rein nichtfigurativen Arbeiten dem disziplinierten Lyrismus eines Leo Leuppi oder Friedrich Vordemberge näher als den strengen Systematikern innerhalb der Konkreten der «Schule» Zürichs. Darüber hinaus ist für Eichmann bezeichnend, dass bei ihm das Pendel zum entgegengesetzten Pol ausschlagen konnte: insbesondere einige seiner Gartenbilder (ab 1959) gelangten in unmittelbare Nähe des Tachismus, genauer: sie lassen sich im Umkreis eines abstrakten Impressionismus ansiedeln, wie ihn die Ecole de Paris Ende der vierziger und in den fünfziger Jahren ausgeformt hat.
1958/59 ist Eichmann noch einmal zu einer freien Nichtfiguration zurückgekehrt. Da ist vor allem eine «Komposition» zu erwähnen, auf der farbige Dreiecke, mit der Spitze nach oben oder unten gerichtet und zum Teil als Collage-Element eingesetzt, in zwei diagonalen Zügen über die schwarze Bildfläche verteilt sind, wobei sie sich gegen das Zentrum hin immer dichter scharen. Möglicherweise existieren noch einige andere Werke, die diesem Bildtypus entsprechen. Von der 1959 geschaffenen «Parusia» gibt es auf jeden Fall noch andere, ähnliche Fassungen. Eine dunkelgraue Fläche bildet im zentralen Bereich des Bildes ein Netzwerk, in das Farbkerne als verhalten glühende Punkte eingestreut sind. Das Glasfensterartige dieses Bildes wird auch mit dem Titel unterstrichten: Parusia, ursprünglich ein Begriff aus der Philosophie Platos, heisst wörtliche «Erscheinung», «Gegenwart». In der Tat ist es Eichmann im besagten Bild gelungen, das «In Erscheinung-Treten» selbst, nämlich der Farbe, sichtbar zu machen.

Der Künstler pflegte sich einen «Einerseits-Anderseits-Mann» zu nennen. Wie sehr er das war, erkennt man beispielsweise, wenn man etwas näher untersucht, wie viele und zum Teil gegensätzliche Tendenzen und Themen in seinem letzten, wohl fruchtbarsten Schaffensdrittel (ca. 1959-1970) gleichzeitig zum Ausdruck drängten. Dabei müssen alle diese vielgestaltigen Formulierungen erst noch auf dem Hintergrund seiner zu der Zeit wichtigsten Unternehmungen, den Goldtafeln, gesehen werden.
In der Epoche von 1959 bis 1970 fallen abstrakt-impressionistische Landschaftsumsetzungen und Gartenbilder, fällt die Wiederaufnahme rein nichtfigurativer Gestaltungen. Das alles ist schon erwähnt worden. Zu den Gartenbildern ist nachzutragen, dass Eichmann – ähnlich wie Helen Dahm – immer wieder den Kerbel als Anlass zur Darstellung genommen hat. Vielleicht ist aus der Beschäftigung mit allerlei Blühendem und Pflanzlichem auch das Thema des Lebensbaums (s.B. 1963) herausgewachsen, das in stark stilisierter Form ebenfalls auf den Goldtafeln anzutreffen ist.

1960 malte Eichmann in Muzzano Häuser- und Dorfpartien (darunter mehrfach das Atelier der Malerin Alice Guggenheim) in einer lichten, nach-impressionistischen Manier. Mindestens eine Fassung des Guggenheim-Ateliers steht jedoch ausserhalb dieser in impressionistische Farbemotionen umgesetzten Figuration: hier wurde die Architektur in ein geometrisches Gefüge klar geschriebener Farbfelder gebracht. Eichmann erreichte mit dieser Transformation des Architekturmotivs ins geometrisierend Bildhafte, seinen Höhepunkt in dem 1967 entstandenen «Museo Capodimonte». Auch hier ist die Architektur als Kulisse gänzlich in die Fläche projiziert; die Fassade ist eine Rasterung von vertikal angeordneten Rechtecken und Bändern in fünf übereinander liegenden Registern gegliedert. Diese Strukturierung erinnert an die späten, in New York entstandenen Lösungen von Mondrian. Der Grundsätzliche Unterschied zu Mondrian besteht darin, dass Eichmann noch (oder wieder) ein bestimmtes Gebäude meinte (dieses selbst befindet sich in Neapel), das er in einen Rest von Natur oder Umraum stellte. Auch liegt eine völlig andere Farbgebung vor: Eichmanns Museumsbild lebt vom Komplementärkontrast Rot-Grün, wobei an der Fassade Stufen von Rosa über Ziegelrot bis zum Purpur durchgespielt wurden, die unten und oben durch eine graue Bandzone gesäumt sind. In dem ein Jahr früher gemalten, ebenfalls in verschiedenen Rot gehaltenen Schlachthaus tritt die Geometrie zurück. Das Bild ist mit einem biographischen Anlass verbunden. (Eichmann hat einmal ein Jahr im Schlachthaus als Flachmaler gearbeitet und die Erinnerung an das blutig-ekelerregende Handwerk das dort geübt werden muss ist ihm haften geblieben.) Formal schläft das Schlachthof-Bild eine Brücke zu den Goldtafeln. Die Zone am unteren Rand ist gleichsam mit Goldquadraten gepflastert. Die aber mit einem dünnen Blau oder Rot übermalt sind, so dass der Goldton sehr verhalten schimmert. In dieser Zone ist ein Kalbskopf und ein kleiner Grundriss des Schlachthauses emblemartig in schwarzer Farbe hingepinselt. Solche «Bildstempel» finden sich ähnlich auch auf den Goldtafeln.
In der Tat erweist sich dieser Künstler als ein Einerseits-Anderseits-Mann. Weil er stets auf der Suche nach seiner Identität war? Weil er noch nicht zu seiner eigentlichen Wesensmitte vorgestossen war, weil ein vorzeitiger Tod ihn an diesem endgültigen Durchbruch hinderte?
Was seinen zu frühen Tod betrifft, so empfinde ich ihn tatsächlich als einen Skandal, da dieser Künstler noch lange nicht «vollendet», noch lange nicht am Ende seiner Möglichkeiten angelangt war. Anderseits ist Eichmanns Abneigung, sich festzulegen, seine Kunst nur in einer bestimmten Richtung voranzutreiben, gerade in seiner «Mitte» begründet. In seinem Aufsatz «Umgang mit Farben» steht der Satz: «(Sich) Emanzipieren heisst nicht Verzichten». Der genaue Zusammenhang, in dem diese Feststellung auftritt, braucht uns hier nicht zu kümmern; sie darf vielmehr als die eigentliche Devise seines Lebens aufgefasst werden.
Unsere «westliche» Moral, mag sie christlich oder etwa marxistisch geprägt sein, gestattet keine Emanzipation ohne gleichzeitige, wenigstens vorläufige Verzichtleistung und Repression. Sie gebietet zum Beispiel: übe Selbstbeherrschung, halte Dich heute zurück, damit Du morgen (damit Du im Jenseits) zur vollen und endgültigen Freiheit gelangst. Allein der libertäre Sozialismus (Anarchismus) setzt ganz auf die Freiwilligkeit des Menschen, verwirft es, ihn autoritär zum Guten zu zwingen. Wenn man Eichmann überhaupt auf eine Weltanschauung verpflichten kann, dann am ehesten auf die des Anarchismus, was sich etwa auch in der biographischen Einzelheit ausdrückt, dass er am spanischen Bürgerkrieg in der Legion Durutti teilnahm, in der sich vor allem auch die Anarchisten gesammelt hatten.
Wovon hatten sich die Künstler seiner Generation emanzipiert? Ich würde sagen, vom Gegenstand, von einer lediglich abbildenden Malerei. (Diese Befreiung vollzogen, kunstgeschichtlich betrachtet, zwar schon frühere Generationen, aber die Hitlerei und der Zweite Weltkrieg hatten diese entscheidende Wendung schon beinahe ausgelöscht, dass sie von Eichmanns Generation, besonders im bedächtigen kulturellen Klima unseres Landes, nachgeholt und vertieft werden musste.) Eichmann selbst beteiligte sich an dieser Emanzipation, wollte jedoch anderseits nicht «verzichten», das heisst eine frühere Stufe der Kunst, die der Realitätsabbildung, nicht einfach als überwunden verwerfen. Er hat daher die wirklichkeitserfassende Kunst lediglich «aufgehoben», nämlich auf einer anderen Ebene im Durchschreiten der Nichtfiguration «bewahrt», sei es im «impressionistischen» Farbzeichen, sei es – auf den Goldtafeln – in symbolischer Prägung.
Heinrich Eichmann hat sich intensiv mit dem Denken des Kulturphilosophen Adrien Turel auseinandergesetzt, dessen Untersuchungen bis jetzt fast folgenlos, nämlich weitgehend unentdeckt geblieben sind. Solange dieses Denken ungenutzt in einem Zustand der Latenz belassen ist, wird man auch die künstlerischen Inhalte Eichmanns nicht ganz ausschöpfen können (was insbesondere für die Symbolik der Goldtafeln gilt). In dem von der Stiftung Adrien Turel 1958 herausgegebenen Band «Und nichts fiel auf ein gut Land» findet sich das Kapitel «Die Gegenwart (Parusia) als Fegefeuer».
Es sei nur am Rande vermerkt, dass Eichmann das Turelsche Zeichen für diesen Begriff, eine Art Violinschlüssel oder auseinandergezogene Acht, immer wieder auf den Goldtafeln verwendet hat; dass mehrere seiner Bilder den Titel «Parusia» tragen, wurde bereits erwähnt.
Turel führt im genannten Kapitel aus, dass die Gegenwart/Parusia, dass auf der Schwelle von nachwirkender Vergangenheit und herausfordernder Zukunft ein Darwinscher Kampf ums Dasein im Weltmassstab und mit politischen Mitteln ausgefochten werde. Diese Gegenwartsschwelle sei gleichzeitig als «eine Reihe von Drehtüren» aufzufassen, «Bei denen man, wenn man den eigenen Flügel vorwärts stösst, notwendigerweise einen «Gegner» in die Vergangenheit zurückstossen muss». Dem geradezu archaischen Kampf bis aufs Messer setzt Eichmann eine andere (humane) Konzeption entgegen, die Möglichkeit eben, «überwundene» Epochen ins Kunstwerk hinüberzuretten. Dabei kam ihm eine weitere Einsicht von Turel zupass. Wenn der Mensch sich aufmacht, das Weltall zu erobern, dann muss er gleichzeitig Wurzeln treiben, und zwar so tief wie noch nie: nicht nur bis in seine historische und prähistorische Vergangenheit, nicht nur bis in die Kindheit (das hat Freud mit der Psychoanalyse geleistet), sondern noch tiefer, bis zu Gen und Zeugung, bis in die letzten Schichten, bis ins kollektive Unbewusste (wie es C.G. Jung nennt). Im kollektiven Unbewussten liegen die Ur-Bilder (Archetypen) bewahrt, Kategorien der Wirklichkeitsbewältigung durch den Menschen, die viel älter sind als Kants Denkkategorien. Eichmann hat einige dieser Ur-Bilder gehoben, sie in seinen Goldtafeln ans Licht gebracht.

 

 

Erinnerungen an Heiri

Von Doris Morf

Heiri Eichmann lag tagelang im Sterben, ein einziges Mal bei meinen Besuchen im Spital öffnete er die Augen, sagte: «So ein Blödsinn...» und schloss sie wieder. Ein paar Wochen zuvor noch hatte er auf der Leiter im neuen Haus des Schweizer Fernsehens gestanden und unter heftigen Schmerzen am riesigen Wandbild gearbeitet, das er im Treppenhaus über vier Stockwerke hochziehen sollte, Aufträge für Wandbilder waren ihm jeweils eine willkommene Herausforderung gewesen. Hier, im Fernsehhaus hatte er resigniert gewirkt: «Was soll’s? Ich hatte immer gedacht, mit Wandbildern könnte ich mehr Leuten Freude machen als mit Helgen, die einsam in Häusern von Sammlern hängen. Auch so eine Illusion – man steht tagelang in der Zugluft, klettert Leitern hinauf und hinunter, und dann sieht man, was es den Arbeitern hier bedeutet – an mein Wandbild uriniert haben die...». Früher hätte er vielleicht gelacht darüber. Die Metastase, die auf seinen Ischiasnerv drückte, verunmöglichte ihm das Lachen.
Ich war lange Zeit wütend auf ihn, dass er uns das angetan hatte – an Lungenkrebs zu sterben. Uns angetan.... Dieses Uns hatte ich an der Beerdigung erfahren. Er war ja ein bester Freund. Aber das sagten dann während des Leichenmahls im «Neuen Klösterli» beim Zürcher Friedhof Fluntern noch zwei Dutzend andere. Nun gut, dann halt: Unser Heiri.

Wir hatten uns kennengelernt im Club Bel Etage, dem Zürcher Avantgardisten-Club der Fünfziger und Sechziger Jahre, Brutstätte für Ideenaustausch, für Freundschaften unter Künstlern, Grafikern, Schriftstellern, Architekten, Ingenieuren, Ärzten und Mäzenen. Am Montag traf man sich im Clublokal zu Vorträgen, Diskussionen mit Berühmtheiten, die gerade in Zürich weilten – nordische Architekten, Planer und Soziologen, englische und amerikanische Künstler, Fotografen, Psychologen, Physiker. Am Freitag fanden Ausstellungen statt bei denen vor allem die Zürcher Konstruktivisten wie Max Bill, Richard Lohse, Camille Graeser, Verena Loewensberg und Gottfried Honegger eine wichtige Rolle spielten.
Heiri Eichmann war nicht nur von der Erscheinung her ein Unikat (jemand sagte: «So einen Kopf kann man sich nicht kaufen»), er war auch ein Einzelgänger in der Kunst; zwar stolz, einigen wichtigen Aufbruchsbewegungen der Schweizer Künstler angehört zu haben wie zum Beispiel der «Allianz», sich dennoch nicht auf eine Stilrichtung festnageln lassend, stets in Entwicklung, am Forschen, am Ausprobieren, Philosophie, Soziologie in die Arbeit einbeziehend – Heiri «symölelet» wieder, sagten wir jeweils scherzend. Bekannt wurde er durch seine Goldbilder, gleichzeitig malte er aber weiterhin auch Landschaften, Bäume, Friedhöfe, Stadtarchitektur in Öl auf Leinwand. Einige dieser Leinwände, die heute in Häusern bekannter Architekten hängen, waren ursprünglich handgewobene Bettlaken meiner Urgrossmutter.

Nicht alle Leinwandbilder entstanden im Atelier. An Wochenenden verbrachten wir ganze Tage in einer Hochmoor-Landschaft hinter dem Uetliberg, dem Züricher Hausberg, oder in einer ehemaligen Jagdhütte bei der Kyburg, zum Malen, Diskutieren, zu Wald- und Wiesen-Festen. In den Ferien in der Toskana war Heiri, im Gegensatz zu uns Frühaufsteher. Nach unserem Frühstück orteten wir jeweils mit dem Fernglas seinen weissen Impressionisten-Schirm, der aus Olivenhainen oder Rebbergen der Umgebung leuchtete, und verbrachten darauf den Morgen um seine Staffelei herum, ich schreibend, meine Söhne malend und spielend, mein Mann lesend, Vreni Beeren sammelnd. Eines seiner Ölbilder, das er in «unserem» Hochmoor des Züricher Säuliamtes ganz realistisch begonnen und im Atelier weiter bearbeitet hatte (nur wer dabei war, ahnte noch, dass da ursprünglich Sumpfwiesen, Kühe, Weizenfelder und Berge abgebildet waren), wollte ich ihm abkaufen. Er schaute mich erstaunt an: «Das ist das erste Mal, dass jemand eines meiner Bilder kaufen möchte...». Er war begeistert, er schenkte es mir.

Nachdem er sich entschlossen hatte, vollberuflich als Künstler zu arbeiten, dauerte es allerdings nicht lange, bis seine Bilder verkauft wurden wie – ein Zürcher Ausdruck «Frische Weggli». Er war bald nicht mehr nur ein Geheimtip unter Architekten und Grafikern, vor allem nachdem er das Gold in seine Bilder holte; eine der wenigen in Europa, die das nicht nur künstlerisch, sondern auch handwerklich gekonnt auszuführen wussten, und als man sah, wie festlich das Gold sogar vom Beton leuchtet, jagte ein Auftrag den anderen: Kunst an öffentlichen Bauten, an und in Schulhäusern, an einem der grossen Pavillons der schweizerischen Landesausstellung «EXPO», an Kongresszentren, in Verwaltungs-Räumen, in einem Hallenbad, einem Restaurant, einer Kapelle, an und im Ingolstädter Stadttheater....

Seine ersten Goldbilder waren wahrscheinlich das Resultat zweier Eindrücke: Heiri Eichmann kam eben von einer Kunstreise aus Italien zurück, beeindruckt von den Mosaiken in Ravenna und vom reich vergoldeten Venedig; etwa zur selben Zeit schenkte ich ihm zum Geburtstag ein Buch des 19. Jahrhunderts, in welchem die damaligen Maltechniken minutiös beschrieben waren. Darunter auch jene des Vergoldens (in zwölf komplizierten Arbeitsgängen!). Eichmann wollte das ausprobieren, schliesslich war er von Beruf Maler gewesen, kannte das Handwerk à fonds. Er hielt sich vorerst genau an die im Buch aufgeführten Anweisungen – bestellte eine plangeschliffene Holzplatte, fand die erforderliche türkische Boluserde, holte bei den Bäuerinnen der Umgebung dreissig frisch gelegte Hühnereier, deren Eiweiss zum Binden gebraucht wurde, begann Goldplättchen zu horten, so fein, dass ein Seufzer sie fortgeweht hätte und machte sich zuletzt an die mühsame Polier-Arbeit mit dem Achat. Und nach diesen ersten Versuchen, entwickelte er eine eigene, vereinfachte Technik. Ohne Hühnereier. Sein erstes Goldbild mit dem Motiv «Blick durchs Schlüsselloch ins Paradies» hat bei mir einen Ehrenplatz, auch wenn darauf noch viel zu grob strukturierte Goldplättchen, wie vom Sturm angeweht, das gemalte Schlüsselloch-Bild des Baumes mit den goldenen Früchten allzu striemig umrahmen: Heiris «Lehrplatz» – noch so ein Helvetismus! in Gold.

Kaum hatte Heiri Eichmann seine eigene Methode des Vergoldens erarbeitet, entstand nicht nur ein Goldbild nach dem anderen, er erfand auch immer neue Möglichkeiten, diese Arbeiten mit Gold zu variieren – durch Übermalung, Untermalung, Auskratzungen, Spiele mit Farbtönen der Goldfolien und mit verschieden stark glänzenden Poliereffekten.

Dienstagabende verbrachte Heiri Eichmann lange Zeit wenn immer möglich bei uns. Sie begannen mit Essen und endeten lange nach Mitternacht mit hitzigen These-Antithese-Diskussionen, waren ein Brainstorming so unorthodoxer Art, dass ich für meine Arbeit als Journalistin und Schriftstellerin süchtig danach wurde. Ein Beispiel: Ich hatte einen Artikel zum Thema Gesundheit zu schreiben. Heiri meinte, dass «gesund» auch sein könnte wie eine ungespannte Saite, die nicht mehr tönt, spannungslos ist. « Du spannst und leidest, reissen darfst du nicht», zitierte er seinen Philosophen-Freund Adrien Turel. An einem dieser Dienstagabende machte Heiri eine für seine Goldbilder wichtige Entdeckung. Es war im Herbst zur Zeit der «Räbeliechtli»- Umzüge, eine Tradition der Zürcher Kinder, die mit dekorativ geschnitzten Lichtern aus weiss-violetten Feldrüben durch die Strassen ziehen, begleitet von Quartiermusik, Müttern und Vätern. Als Heiri eintraf, war ich noch daran, meinen kleinen Söhnen die üblichen Sonne, Mond und Sterne in ihre «Räbeliechtli» zu schnitzen. Damit die Haut der Rüben nicht ausfranste, tat ich das mit einer Ahle, mehr stechend als schnitzend. Heiri schaute mir eine Weile zu, stand plötzlich auf: «Heute ist nichts mit dem Nachtessen, ich muss etwas ausprobieren....» und verschwand. Am folgenden Dienstag kam er mit einer grossen Bildtafel unter dem Arm zurück – es war das erste Bild, auf dem er das Gold gepunzt hatte, mit einem Stahlstift Muster ins Gold gedrückt hatte. Um festzuhalten, was ihn auf die Idee gebracht hatte, malte er am Rand des Bildes einen «Räbeliechtli-Umzug» von lustigen Strichmännchen und –weibchen. Nun gab es kaum mehr ein Goldbild ohne diese feinen Punzierungen, die je nach Lichteinfall, dem Bild ein weiteres, nicht auf Anhieb erkennbares, einkerben.

Für meinen ersten Roman «Das Haus mit dem Magnolienbaum», gestaltete Heiri Eichmann einen schwarz-weissen Schutzumschlag, den ich in farbiger Variation, Gold auf Orange, auch für meinen zweiten Roman, «Die Entgolder», verwenden konnte. Das Motiv war eine Spirale, aus der ein Stück herausgebrochen und vergrössert dargestellt wurde. «Die Spirale ist das Leben, und mit deinem Roman bringst Du es uns ein Stück näher», kommentierte er seinen Entwurf. Das sollte offenbar auch für die Bühne gelten, denn Eichmann bekam später den Auftrag, meine Spirale auf der grossen Betonwand, die beim Ingolstädter Stadttheater von Aussen in die Vorhalle führt zu wiederholen. Ich habe sie bisher nur auf Fotos gesehen, genauso wie das Wandbild beim Künstlereingang des Theaters das Himmel-Hölle-Hüpfspiel darstellend mit dem er ursprünglich eine meiner Kurzgeschichten für einen Anthologienband illustrierte. Ich muss nun endlich mal nach Ingolstadt und mir das alles während der Gedenkausstellung näher anschauen. Da treffe ich dann sicher wieder auf einige, die sagen: «Er war mein bester Freund...». Unser Heiri. Nun, warum nicht.

 

 

Das Erlebnis, als Architekt mit Heinrich Eichmann zusammenzuarbeiten

Von Dolf Schnebli

Leider nur zweimal hatte ich die Gelegenheit, bei Bauaufgaben Heinrich Eichmann als Künstler beizuziehen.
Was die schweizerische Landesausstellung Lausanne 1964 betrifft, gehörte es zum Konzept, dass jede Abteilung an der «Expo» durch ein «Elément de synthèse» gekennzeichnet sein sollte. Eine Betonscheibe, die gleichzeitig Stütze und raumbildendes Element war, schien mir als geeignetes Element, durch einen Maler verwandelt zu werden. Ich besprach das Problem mit meinem Kollegen und Freund Ernst Gisel. Er sah die Skizzen und erklärte mir spontan: «Schon recht, aber für diese Wand kommt nur Heiri in Frage». Ein Besuch bei Heinrich Eichmann und seinen Bildern waren der Anfang einer leider allzu kurzen Freundschaft. Das «Elément de synthèse» für die Abteilung Freizeit, die Betonwand, die Frage, was Freizeit wohl sei, führten zu Gesprächen über das Leben, die Kunst, die Poesie des Lebens. Ich war fasziniert von der Persönlichkeit Eichmanns, aber auch ebenso sehr von seinen farbigen Bildern.
Doch die Wand der Freizeit wurde nicht farbig. Eichmann sah nur Gold auf dem Beton. Der Beton, das Alltägliche, sollte durch das Gold «Poesie als Lebensgefühl» ausstrahlen, wie Eichmann sagte. Bei allem Respekt vor Poesie und Lebensgefühl gibt es für den Architekten aber auch immer die Probleme der Ausführung des Werkes zu lösen. Nachdem ich längst von der Richtigkeit der Idee «Gold auf Beton» überzeugt war, wagte ich es, Eichmann darauf aufmerksam zu machen, dass es doch recht schwierige technische Probleme bei jedem Anstrich einer Betonwand gäbe.
Nun lernte ich noch eine andere Seite Eichmann kennen. Es freute ihn sichtlich, mir zu zeigen, dass er auch ein perfekter Handwerker sei. Nicht nur die perfekte Ausführung beherrschte er, sondern mit derselben Selbstverständlichkeit konnte er den Quadratmeterpreis für Gerüstung oder den Quadratmeterpreis für Gold auf Beton vorrechnen. Durch die Zusammenarbeit für das «Elément de synthèse» wurde nicht nur ein Problem gelöst, ich hatte einen Freund und obendrein noch den Experten für jegliche Farbprobleme gefunden.
Etwas später konnte ich Heinrich Eichmann empfehlen für die Ausführung eines Wandbildes im Refektorium und Versammlungssaal der Schweizerschule in Neapel. Die Entwurfsskizzen wie auch der Quadtratmeterpreis für die zu bemalende Wand waren der eidgenössischen Bauherrschaft genehm. Eichmann hatte soeben die Goldbilder auf Beton im Theater in Ingolstadt fertiggestellt. Wir trafen uns in Neapel. Das Durchwandern des beinahe fertigen Schulgebäudes wurde zu einem Erlebnis. Die Sonne Neapels, die Neapoletaner, das Essen, der Wein machten Eichmann das Klima Ingolstadts rasch vergessen. Die zu bemalende Wand wurde zu klein, neben dem Gold auf Backsteinen entstanden farbige Bilder. Am Schluss war nicht eine Wand gemalt, sondern die Wände, der Raum wurde zum Bild. Das Budget allerdings war fest, doch Eichmann meinte dazu, eben deshalb wäre es gut, wenn man mit Quadtratmeterpreise rechne, man könne ja dann ganz einfach einen niedrigen Einheitspreis einsetzen, wenn man mehr Wände bearbeiten möchte. Neben der intensiven Arbeit im Refektorium beobachtete Eichmann auch alle Arbeiten am Bau, wurde Freund und Helfer der Bauführung, wie auch der Handwerker. Dass er nicht italienisch sprach, störte weder Eichmann noch die Neapolitaner: «Wir sind doch alle vom Bau, wir verstehen uns doch.»
Das erstemal war es eine Wand, ein Zeichen das Eichmann schuf. In Neapel war es ein Raum. Wir sprachen und phantasierten über die Möglichkeiten, Aussenräume zu malen. Wir suchten nach einer Übersetzung der Farbigkeit Neapels, der kleinen Orte auf der Penisola Sorrentina für unsere Regionen. Probleme der Farbe, des Raumes, der handwerklichen Ausführung mit einem Maler zu diskutieren, der auch einer vom Bau war – das war das bleibende Erlebnis.

 

 

Was mir einfällt zu HE

Von Felix Schwarz

Bin ein fahrender Gesell, kenne keine Sorgen...
Zur Gitarre von Othmar

Spritzpistole und Pantinen, Gummischurz und Maske
Heiri als Lemure

Das Kapitel über Weiss im Moby Dick
Mitternachtsmesse im Barock
Und jene Höhlen und Kamine und Feuer

Kerbel
Die Kranzflechterin
Quatorze Juillet – Lampions in Nancy
Mit Etappensieg Hugo Koblets

Campari in Ravenna und Arezzo
Marx, Freud, Reich, Allerleirau; geträumt –
Träume ins Naive raffiniert
Catal Hüyük, das Du nicht kanntest

Tristram Shandy
Frankenstein, Dodge und Mombasa
Zu breite Krawatten und massgeschneiderte Hemden
Zigarettenstummel und ein Glas Gwölbliwii
Auf Matrosen, zur See--- La Paloma, von Freddy gesungen
Und immer Turel – an der Venedigstrasse 2

HE... HE...